Thema: Gedicht
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Alt 21-09-2004, 19:50
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Visceroid

 
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Christoph Meckel: Rede vom Gedicht

Das Gedicht ist nicht der Ort
Wo die Schönheit gepflegt wird
Hier ist die Rede vom Salz
Das brennt in den Wunden
Hier ist die Rede vom Tod
Von vergifteten Sprachen
Von Vaterländern, die eisernen Schuhen gleichen

Das Gedicht ist nicht der Ort
Wo die Wahrheit verziert wird
Hier ist die Rede von Blut
Das fließt aus den Wunden
Vom Elend, vom Elend, vom Elend des Traums
Von Verwüstung und Auswurf
Von klapprigen Utopien

Das Gedicht ist nicht der Ort
Wo der Schmerz verheilt wird
Hier ist die Rede von Zorn und Täuschung und Hunger
Die Stadien der Sättigung werden hier nicht besungen
Hier ist die Rede von fressen, gefressen werden
Von Mühsal und Zweifel
Hier ist die Chronik der Leiden

Das Gedicht ist nicht der Ort
Wo das Sterben begütigt
Wo der Hunger gestillt
Wo die Hoffnung verklärt wird
Das Gedicht ist der Ort der zu Tode verwundeten Wahrheit

Flügel, Flügel, der Engel stürzt
Die Federn fliegen einzeln und blutig im Sturm der Geschichte
Das Gedicht ist nicht der Ort
Wo der Engel geschont wird
__________________
Die Welle sprüht, und staut zurück und weichet,
Und schwillt bergan, sich immer selbst zu trinken;
Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben.
Sie schwankt und ruht, zum See zurückgedeichet;
Gestirne, spiegelnd sich, beschaun das Blinken
Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben.
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